Idyllisches, weiches Licht fiel durch das Fenster auf den Küchentisch im Haus des Chefinspektors, der, noch im Morgenmantel, bereits seine dritte Tasse Kaffee trank und die Morgenzeitung las, die der Zusteller bei Schönwetter über den Gartenzaun Richtung Haustür warf. Bei Regen mühte er sich zum Postkasten, um die OÖN in den Schlitz zu werfen, da sie ja sonst völlig aufgeweicht unlesbar wurde.
Draxlers Haus lag am Ufer des Irrsees auf einem kleinen Hügel mit einem Ausblick, der genauso auch in einer Tourismusbroschüre des Mondseelandes abgebildet und ein Postkartenmotiv sein konnte. Er wohnte dort, wo andere Urlaub machen.
Er hatte heute seinen freien Tag und wollte ihn gemächlich angehen, ohne Plan, sich treiben lassen und annehmen, was kommt. Nach Regeln und Gesetzen musste er ohnehin fast täglich in seinem Beruf leben. Pflicht stand nicht auf der Tagesordnung, eher die freie Kür des Spontanen.
Es herrschte Spätsommer, doch der Herbst begann bereits, kräftig seine bunten Farben zu mischen. Bald würde der Indian Summer seine Flügel über dieser Landschaft ausbreiten, begleitet von Lauten brunftiger Hirsche und jagender Falken. Manchmal durchbrochen von Gewehrschüssen örtlicher Jäger in den umliegenden Revieren.
Die Strandbäder hatten noch geöffnet, die Wassertemperatur des Irrsees betrug noch immer dreiundzwanzig Grad Celsius, ideal für Wasserratten. Einige Hartgesottene aus der Gegend springen allerdings auch noch bei vier Grad Celsius im Winter in den Moorpool. Vielleicht wird man auf diese Art hundert Jahre alt, wenn man wegen des eisigen Wassers vorher keinen Herzkasperl bekommt. Draxler hüpfte manchmal vor dem Dienst kurz in den See, um so richtig munter zu werden. Aber nicht im Winter. „Ich möcht‘ sowieso nicht hundert werden“, sagte er manchmal.
Der Chefinspektor schenkte sich noch eine vierte Tasse Kaffee ein, blätterte in der Zeitung gerade auf die Sportseiten, während Rudi plötzlich nervös hin und herlief, zur Haustür rannte, auf und ab hüpfte, mit der Pfote am Holz kratzte und nicht mehr zum Bellen aufhörte.
„Rudi Platz“, rief Draxler. Doch der Chihuahua platzte nicht, sondern kläffte weiterhin aufgeregt in Richtung Eingangstür.
„Na, dann schaun ma mal nach, was da los ist“, sagte Draxler, während er gemächlich aufstand.
Er öffnete die hölzerne Haustür und sah nach draußen. „Nichts zu sehen, Rudi“, sagte er, bis sein Blick nach unten auf die Fußmatte fiel. Dort lag ein längliches Paket, auf dem zwar der Name des Chefinspektors aber kein Absender angegeben war.
Draxler nahm das Paket mit ins Haus und legte es auf den Küchentisch, wo noch seine Kaffeetasse sowie ein kleiner Teller mit einem Stück Marmeladetoast standen. „Es kann noch nicht lange her sein, dass jemand vor die Tür schlich und das Paket ablegte. Oder lag es schon seit der Nacht da und ich habe es nicht bemerkt, als ich die Zeitung aus dem Schlitz nahm“, dachte er.
Natürlich war Draxler neugierig auf den Inhalt. Er holte ein Messer aus einer Küchenschublade und öffnete langsam das Paket. Da drang ihm auch schon übler Geruch in die Nase. „Vielleicht ein totes Tier“, dachte er, „doch wer sollte so etwas abgeben und warum.“
Als er den Inhalt ganz freilegte, kamen ein abgetrennter, menschlicher Fuß sowie eine Hand zum Vorschein. Beides war auf einen großen Metallspieß gesteckt. Zudem lag im Paket eine kleine Karte mit einer Nachricht für Draxler: „Guten Appetit mit dem Steckerlfisch, Herr Chefinspektor.“ Die beiliegende Botschaft war allerdings nicht unterzeichnet.